„Wunderbare Zeiten", der zweite Teil von Brigitte Riebes 50er-Jahre-Trilogie um die drei Thalheim-Schwestern Rike, Silvie, Florentine und das Kaufhaus am Ku'damm, ist nun erschienen.
Der erste Band "Jahre des Aufbaus ", der sich auf die Jahre 1945 bis 1951 konzentriert, stellt die älteste Tochter Rike in den Mittelpunkt.
Der zeitliche Rahmen des folgenden Bandes, dem das Nietzsche-Zitat „Man muss das Leben tanzen“, Silvie Thalheims Lebensmotto, vorangestellt ist, sind die Wirtschaftswunderjahre 1952 bis 1957.
Die Bundesrepublik erholt sich rasch von den Kriegsfolgen. Das Kaufhaus, bei Kriegsende eine Ruine, ist wieder aufgebaut dank der Tatkraft der inzwischen dreißigjährigen Rike, die sogar das eigene Erbe hineinsteckt. Was ihr jedoch vom Vater nicht gedankt wird. Friedrich Thalheimer ernennt den Sohn Oskar, nachdem dieser aus der Kriegsgefangenschaft „versehrt an Körper und Seele“ zurückkehrt, zum Mitgesellschafter, während er Rikes Befugnisse drastisch beschneidet. Und das obgleich Oskar, ein Lebemann, wenig Interesse an der Firma zeigt, mit windigen Menschen gemeinsame Sache macht. „Papa ist blind für seine Schwächen“, bemerkt Rike, die gar vermutet, dass Oskar die Firma bewusst gegen die Wand fahre. Dessen Schicksal steht unter keinen guten Stern, wie das Ende des zweiten Bandes zeigt.
Aufbruch, Petticoats und Rock ´n´Roll
Die Deutschen verdrängen die NS-Zeit, auch die Thalheims, pflegen ihr neues Lebensgefühl: Die Lust am Konsum, auf Mode steigt, wovon das Kaufhaus Thalheim profitiert. Die Frauen tragen Petticoats und Babydolls. Angesagt sind Swing, Rock ’n’ Roll, Blues. Die Jugend ist von der neuen fetzigen Musik begeistert. So tanzt man zu ihr Boogie-Woogie auf Rikes Hochzeit mit dem italienischen Stoffhändler Alessandro Lombardi, ihrer großen Liebe. Berlin ist – nebenbei gesagt - zu jener Zeit eine Hochburg des Tanzstils.
Silvie Thalheim, der nichts über die eigene persönliche Freiheit geht, arbeitet inzwischen als Radio-Journalistin bei dem Berliner RIAS, der 1946 von den Amerikanern als Gegengewicht zu dem sowjetisch kontrollierten Berliner Rundfunk gegründet wird. Ihr Traum: als Rundfunkredakteurin beim RIAS Karriere zu machen. Fiktion und Realität verschmelzen: Die Autorin Riebe baut für Silvie Personen der Zeitgeschichte ein wie Billie Wilder, Willi Brandt, Hildegard Knef. Der elegante österreichische Schauspieler O. W. Fischer, “ Frauenschwarm und höchstbezahlter Kinostar der Wirtschaftswunderzeit“, übernimmt in dem Roman einen Part. Köstlich sein österreichischer Akzent! Selbst einen Heinrich Böll bringt Silvie in ihrer Sendung zum Reden. Gleichzeitig übernimmt Silvie, von Miriam als „Herz der Familie“ bezeichnet, zunehmend Verantwortung für die Firma wie für die Thalheims. Die während der NS-Zeit verfolgte Miriam Sternheim, für Rike und Silvie wie eine Schwester, ist aus Israel zurückgekehrt, wird Atelierchefin.
Ein Unterschied wie Tag und Nacht
Wie im ersten Band werden prägende historische Ereignisse mit dem Leben der Thalheims und ihres Umfeldes verknüpft, detailliert und aufschlussreich erzählt. Akribisch recherchiert. Unverkennbar zeigt sich hier die Historikerin Brigitte Riebe. In ausführlichen Diskussionen zwischen den Romanfiguren, in erzählenden Passagen oder einfach nebenbei erfährt der Leser, wie sehr sich damals der Alltag in der DDR von dem der BRD unterschieden hat. „Obgleich sie nur die Sektorengrenze passiert hatten, fühlte es sich an wie die Zeitreise in ein anderes Jahrzehnt“, heißt es im Roman. Trümmergrundstücke, kaum Neubauten, Lebensmittelmarken. Eine durchgängige Tristesse.
1952 beginnt in der DDR die Kollektivierung der Landwirtschaft, konkret bedeutet dies, die Enteignung der Bauern. Christen, laut Politbüro „Tarnorganisation für Kriegshetze, Sabotage und Spionage“, werden verfolgt. So geraten im Roman die den Thalheims nahestehenden Pastorentöchter Luisa und Amelie in die Fänge der Stasi. 1953 stirbt Stalin. Am 17. Juni 1953 streiken die Arbeiter, auf den Straßen der DDR kommt es zu Demonstrationen, darunter die rebellische Flori Thalheim. Brutal wird der Aufstand niedergeschlagen durch die Sowjetarmee, wie später auch der in Ungarn.
Von Gleichberechtigung keine Spur
Nicht nur Rike, sondern auch Miriam und Silvie finden nach heftigen, einen breiten Raum einnehmenden Turbulenzen ihr privates Glück. Die nächste Generation wird geboren. Familiengeheimnisse - außereheliche Beziehungen, Vaterschaften der älteren Generation Thalheim – enthüllen sich. Die Handlung kommt hier ins Mäandern, zu viele Zufälle, zu viele Auf und Abs, sodass manches recht konstruiert wirkt.
Bereits 1949 legen die Mütter und Väter des Grundgesetzes die Gleichberechtigung von Mann und Frau fest. Allerdings sieht in den 1950er Jahren die Realität anders aus. Mit der Heirat gibt die Frau wesentliche Rechte auf, so verfügt der Ehemann über das Vermögen seiner Frau, er kann ihr eine Berufsstätigkeit verbieten. Das heißt sie ist völlig von ihm abhängig.
Die Frauen wirken tatkräftig in der Nachkriegszeit am Wiederaufbau und am Wirtschaftswunder mit, entwickeln so ein neues Selbstbewusstsein. Dadurch beginnen sich In den 50ern, ein Jahrzehnt des Umbruchs, die Vorstellungen nicht weniger Frauen zu wandeln, hin zu einem modernen Frauenbild, im Roman deutlich werdend in Diskussionen zwischen der jüngeren Generation und den Eltern. Silvie lehnt sich auf, Flori Thalheimer rebelliert noch stärker, geht mit ihrem französischen Freund nach Paris.
Deutsche Zeitgeschichte von Brigitte Riebe fesselnd erzählt.
Eine für den Leser hilfreiche Zeittafel als Anhang verschafft einen Überblick über die deutsche Geschichte in den Jahren 1952 bis 1957.
Fortgesetzt wird die Trilogie mit dem dritten Band „Tage der Hoffnung“, welcher voraussichtlich dritte Band im April 2020 erscheinen wird. Im Mittelpunkt steht die jüngste der drei Töchter Florentine Thalheim.
Brigitte Riebe
Die Schwestern vom Ku´damm. Wunderbare Zeiten
475 Seiten
Wunderlich Verlag