„Tage der Hoffnung", der dritte Band Brigitte Riebes 50er-Jahre-Trilogie um die drei Thalheim-Schwestern Rike, Silvie, Florentine und das Kaufhaus am Ku'damm, ist nun erschienen. Thematisiert wird die Zeit des Aufbruchs nach dem Zweiten Weltkrieg und die anschließenden Wirtschaftswunderjahre. Schauplatz ist Berlin. Das Kaufhaus Thalheim am Kurfürstendamm, bei Kriegsende eine Ruine, ist wieder aufgebaut. Jeder Band fokussiert sich auf eine der drei Schwestern. Während der erste Teil "Jahre des Aufbaus" die älteste pflichtbewusste Tochter Rike Thalheim in den Mittelpunkt stellt, wird in „Wunderbare Zeiten“ die Geschichte der mittleren leichtlebigen Silvie erzählt. Beide sind beruflich erfolgreich und finden ihr privates Glück. Ihre Entwicklung lässt sich in allen drei Teilen mitverfolgen.
Der letzte Band „Tage der Hoffnung", der sich der jüngsten künstlerisch begabten Schwester Florentine widmet, beginnt mit deren Rückkehr aus Frankreich, wo sie ein Leben unabhängig von der Familie beginnen wollte, nach Berlin im Jahr 1958 und endet 1963 mit der legendären Rede des US-Präsidenten John F. Kennedy am Schöneberger Rathaus. Florentine, welche aus Friedrichs zweiter Ehe stammt, fühlt sich durch ihre älteren Schwestern oft ausgeschlossen.
„In den Flüssen nördlich der Zukunft werf ich das Netz aus, das du zögernd beschwerst mit von Steinen geschriebenen Schatten“. Paul Celans Worte, seiner Verzweiflung entspringend, dem sich Florentine als seelenverwandt empfindet, sind dem dritten Band als Motto voranstellt. Chronologisch entwickelt sich die Handlung.
Familiengeheimnisse werden im letzten Band enthüllt. Zum Beispiel existiert eine vierte Thalheim-Tochter, der unter nicht völlig geklärten Umstanden tödlich verunglückte Halbbruder Oskar ist Vater eines unehelichen kleinen Kindes. Mit ursächlich für seinen Unfalltod ist wohl die tabuisierte Vergangenheit.
Florentine, deren größtes Glück von Kindheit an Zeichnen und Malen ist, beginnt - nicht zur Freude ihres Vaters - ein Studium an der Kunstakademie. Eine besondere Art der Wahrnehmung inspiriert sie. Farben werden in ihrem Inneren zu Musik, Melodie und Klangfarbe verwandeln sich in berührende Gemälde, die wie in einem Rausch entstehen. „Manchmal können Worte zu Farben werden, was mich anfangs sehr verwirrt hat. Ich dachte ich sei krank. Oder total verrückt“, sagt sie zu dem selbstverliebten Professor Rufus Lindberg, ein Mann mit pathologischen Zügen, dessen Meisterschülerin sie ist und für den sie entflammt. Eine Affäre, die unter keinem guten Stern steht und Florentine beruflich wie privat in eine Krise stürzt.
Wie in den beiden vorausgehenden Bänden erzählt die promovierte Historikerin Brigitte Riebe interessant und lebendig deutsche Zeitgeschichte. Dazu bestens recherchiert. „Was bei Riebe drinsteht, stimmt“, stellt die Autorin in einem Interview fest.
Fiktion und Realität verschmelzen. Beruflich bedingt trifft die Radio-Journalistin Silvie reale auf Personen der Zeitgeschichte. Zum Beispiel kleidet sich die elegante Rut Brandt, Ehefrau des Berliner Bürgermeisters in Zeiten des Kalten Krieges, im Modehaus Thalheim ein, als sie ihren Mann in die Vereinigten Staaten begleitet. Die Aufnahmen für die Presse macht Flori, die auch als Photographin ein Ausnahmetalent ist. Rut Brandt vermittelt Flori den Kontakt zu Egon Bahr, damals einer der führenden Köpfe der deutschen Sozialdemokratie, zwecks einer Ausstellung. Silvie interviewt auch die Kult-Schauspielerin Brigitte Mira oder den Weltstar Marlene Dietrich, deren Konzert zudem die jungen Thalheims besuchen und dabei erleben müssen, wie diese von Demonstranten als Vaterlandsverräterin beschimpft wird. Historische Realität! Der Grund: Im Zweiten Weltkrieg ist die Künstlerin, die 1939 die amerikanische Staatsbürgerschaft annimmt, eine der wichtigen Stimme gegen Nazi-Deutschland.
Ereignisse, Gespräche, erzählende Passagen verdeutlichen, wie der brodelnde Kalte Krieg das Alltagsleben beeinflusst. Durch die Teilung Berlins in Ost und West ist auch die Familie Thalheim, deren Mitglieder in verschiedenen Sektoren leben, zerrissen. „Ein Problem im geteilten Berlin“ ist es bereits, wenn die im Osten verstorbene Großmutter der Familie im Westen beigesetzt werden soll. Unterschiedliche politische Meinungen, auch SED-Aktivisten gibt es in der Familie, führen zu erbitterten Kontroversen. Mauerbau, Zwangsausbürgerung, eine gescheiterte Flucht. Von der Stasi bedroht. Von allem sind die Thalheims betroffen. Auch Homosexualität spielt eine Rolle, welche in der Nachkriegszeit noch unter Strafe steht. Eine Scheinehe als Ausweg, um beruflich nicht im Abseits zu landen. Recht viel wird so in den Roman hinein gepackt, was ihn leicht überfrachtet wirken lässt.
„Tage der Hoffnung“ ist jedoch ein gut geschriebener Roman, der Zeitgeschichte unterhaltsam vermittelt. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Trilogie eine Zeitreise darstellt durch die junge deutsche Republik. Eine Zeit des Umbruchs, in welcher die Menschen sich nach dem Zweiten Weltkrieg und der NS-Zeit sich neu orientieren müssen, überlebte Traditionen abstreifen. Und am Schluss endet alles gut.
Wie in den anderen Bänden verschafft hilfreiche Zeittafel als Anhang einen Überblick über die deutsche Geschichte in den Jahren 1958 bis 1963.
Brigitte Riebe
Tage der Hoffnung / Die Schwestern vom Ku'damm Bd.3
460 Seiten
Verlag Wunderlich