Tief eingetaucht sei er in das Werk des Klangmagiers Theodor Storm, habe dessen nordfriesische Heimat erkundet, um das dort Erlebte mittels Farbe und Wasser auf Papier zu übertragen, erklärt der Künstler Hans-Jürgen Gaudeck im Vorwort seines neuen Buches mit dem Titel „Wie fließend Silber funkelte das Meer“. Inspirieren ließ er sich so zu über 40 ausdrucksstarken Aquarellen. Über Joseph von Eichendorff, Theodor Fontane, Rainer Maria Rilke, um nur einige Beispiele zu nennen, hat Gaudeck bereits in den vergangenen Jahren illustrierte Bände veröffentlicht.
Theodor Storm (1817-1888) wird im nordfriesischen Husum geboren, studiert in Kiel und Berlin Jura, kehrt 1843 in seine Heimatstadt zurück, um dort eine Anwaltskanzlei zu eröffnen, muss diese allerdings schließen wegen der Annexion Schleswig- Holsteins durch Dänemark. Jahre später kehrt er zurück und wird 1864 von der Husumer Bevölkerung zum Landvogt ernannt, nachdem Dänemark im Deutsch-Dänischen Krieg eine Niederlage erleidet.
Die weite raue Landschaft Nordfrieslands, die Küste mit dem Watt und den Deichen, der fließende Übergang zwischen Wasser und Land schildert Theodor Storm höchst stimmungsvoll in seinem Novellen, Gedichten und Märchen, oft verbunden mit Autobiographischem. So assoziiert die Novelle „Eine Halligfahrt“ die herbe Natur mit einer zarten Liebesgeschichte.
„Schwimmende Träume" nennt der Dichter die Halligen, kleine Eilande im nordfriesischen Wattenmeer. Von Gaudeck kunstvoll auf Papier gebannt: Braunrote strohbedeckte Häuser auf dem abgedunkelten Grün einer Warft. Unter dem hohen friesischen Himmel, im Vordergrund die aufgewühlte Nordsee im dunklen Blau. „Das Anrauschen des Meeres, das sanfte Wehen des Windes – es ist seltsam, wie uns das träumen macht“, heißt es in der Novelle. Auf den Deichen stehend blicke man wie in eine Ewigkeit. Wie fließendes Silber sei das Meer. Ein Vergleich, der dem Band den Titel gibt. Symbolisch aufgeladen sind die Naturbeschreibungen, lyrisch die Sprache. Das Geheimnisvolle der Halligwelt öffnet Erinnerungs- und Gefühlsräume: „Das traumhafte Gefühl der Jugend“, die „Gespenster des Glücks“. Erinnertes Erleben drückt sich in stimmungsvollen Bildern aus, gekonnt von Gaudeck malerisch umgesetzt. In der Novelle „Immensee“ erzählt ein älterer Herr rückblickend von seiner verlorenen Jugendliebe. Während ein Weggefährte des Erzählers in der Novelle „In St. Jürgen“ bemerkt, die „Unendlichkeit des Raumes“ wirke, als ob er ich nach allen Seiten in die Ewigkeit sähe. Empfindungen, welche sich in den dynamischen Aquarellen des Künstlers spiegeln.
"Der Schimmelreiter", Storms letztes Werk, erzählt das Leben des Deichgrafen Hauke Haien, eine rätselhafte Geschichte. „Wer war das? Was wollte der? – Und jetzt fiel mir bei, ich hatte keinen Hufschlag, kein Keuchen des Pferdes vernommen; und Roß und Reiter waren doch hart an mir vorbeigefahren …“, schildert der Ich-Erzähler seine Begegnung. Das Aquarell nimmt die Stimmung auf in diffusen Gelb-, Braun-, Blautönen. Eine dunkle gespenstische Gestalt auf einem hageren Pferd, verschwommen, unscharf, vor zerfließendem Hintergrund, scheint im Meer zu verschwinden. Die Landschaft - nicht mehr Land, noch nicht Meer. Unter unheilvollen Wolkenformen in expressiven Blaunuancen verlieren sich schemenhafte Figuren, während gewaltige Wassergebirge in düsterem Blaugrün „dräuend gegen den nächtlichen Himmel steigen“, eine bedrohliche Szenerie schaffend.
Auch in der Lyrik Storms lösen Naturimpressionen Empfindungen aus: Melancholie, Verlust, Einsamkeit. Gefühle in Sprachmelodien umgesetzt, verzaubern mit flüchtigen Stimmungen, weich und zerfließend, in einem zarten Ton geschrieben, ganz in der Tradition Heines und Eichendorffs. Ideal für das Medium Aquarell! „Das ist der Herbst! Wo alles Leben / Und alle Schönheit und verläßt“, so die Trauer über die Vergänglichkeit.
Doch: Die Wehmut schwinde mit dem Winter, im neuen Lenz erblühe neue Liebe, heißt es in dem Sonett „Der liebe Frühling kommt mit hellem Klange“. Aber auch der Widerspruch zwischen Außen- und Innenwelt: „Jasmin und Flieder blühen / Es ist die schönste Zeit./ Ich aber fühle schlimmer / Als je die Einsamkeit.“ Lichte Wälder, Blumen in zarten Farben, Gräser sind auf den zartfließenden Aquarellen zu sehen, deren Farbspiel bezaubert.
Selbstverständlich darf Storms wohl berühmtestes Gedicht „Die Stadt“, das er seinem Heimatort Husum widmet, nicht fehlen. Verfasst im Jahr 1852, als er diese verlässt, da ihm die Zulassung als Anwalt entzogen wird. „Du graue Stadt am Meer“ endet das Gedicht. In heiteren pastelligen Farben malt allerdings der Künstler die Stadt, so wie sich diese tatsächlich zeigt. Vielleicht transportiert das Grau bei Storm dessen eigene Tristesse angesichts seiner schwierigen Situation.
Der vor 200 Jahren geborene Theodor Storm gehört auch heute noch zu den meist gelesenen Autoren des Realismus. Mit seinem Werk inspirierte er Rainer Maria Rilke und Thomas Mann. Theodor Fontane nennt den Lyriker Storm gar einen der „drei, vier Besten, die nach Goethe kommen“.