(AK) Das ist Kurtzweilige, lusterweckende und recht lächerliche Lebens-Beschreibung. Eines weiland frischen, wolversuchten und tapffern Soldaten, Nunmehro aber ausgemergelten, abgelebten doch dabey recht verschlagnen Landstörtzers und Bettlers samt seiner wunderlichen Gauklertasche. Aus Anordnung des weit und breit bekannten Simplicissimi Verfasset und zu Papier gebracht Von Philarcho Grosso von Tromertsheim.
In Grimmelshausens Roman "Der seltsame Springsinsfeld" erzählt der ehemalige Regimentskamerad des Simplicissimus als heruntergekommener Invalide und Bettler seine früheren Abenteuer: "Nachdem nun Regenspurg und Donawert an uns übergegangen / und sich der Hispan. Ferdinandus Cardinal Infant mit uns conjungirt, zogen wie auff das Rhies und belägerten Nördlingen."
Ein Jahr nach dem überwältigenden Erfolg seines "Abenteuerlichen Simplicissimus Deutsch" macht Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen 1670 Randfiguren des "Simplicissimus" zu Helden kürzerer Romane: den Gaukler mit Stelzfuß, den seltsamen Herrn Springinsfeld, der sich zuerst als Landsknecht und später als Bettler durchschlägt, und die betrügerische "Courage", Landstreicherin, Marketenderin, Hure, siebenmalige Ehefrau und Zigeunerkönigin. Die stärkste Frau der deutschen Literatur - wie sie gern genannt wird - und Vorbild für Brechts Antikriegsdrama "Mutter Courage". Wobei Brechts Protagonistin nur ein müder Abklatsch des Originals ist.
Das wechselnde Kriegsglück bringt den Herrn Springsinsfeld ins Elend. In einem Wirtshaus trifft er Simplex und einen Schreiber, der früher Simplex, Springsinsfeld und die Courage gekannt hat. Auf Bitten des Simplicissimus erzählt Springsinsfeld sein Leben, der Schreiber protokolliert. In vielem ähnelt sein Schicksal dem des Simplex. Sohn einer Griechin und eines albanischen Gauklers und Seiltänzers wird er als Kind von Soldaten entführt, um das Leben eines Landsknechts zu fristen, von dem er weiß: "Die Soldaten seynd darum erschaffen / daß
sie die bauren trillen sollen / und welchers nicht thut / der thut auch seinem Berueff nicht genug …" Nach dem Friedensschluss heiratet er eine Augsburger Gastwirtin, die bald stirbt. So zieht er geigespielend mit Seiltänzern, Scherenschleifern, Spitzbuben auf Jahrmärkten herum, heiratet die Tochter eines Bettlers, die ihn bald verlässt, zieht wieder in der Krieg, verliert sein Bein. Springsinsfeld ist verrohter, verbrecherischer als Simplicissimus, der ihn am Ende bei sich aufnimmt, damit dieser auf den "christlichen Weg eines gottseligen Lebens zurückfinden" soll.
Packend und detailreich schildert Springsinsfeld die Schlacht bei Nördlingen 1634 im XV. Kapitel, das Parallelstück zur Schilderung der Schlacht bei Wittstock im "Simplicissimus". Springsinsfeld ist Fachmann in Sachen Krieg. Distanziert berichtet er Einzelheiten über die Kriegsführung, das Hin und Her der Reiterattacken. Über die Verwundeten, die einfach liegenbleiben, die Toten. Beschrieben werden Waffen und Ausrüstung der Landsknechte, die vom und für den Krieg leben, sich selbst versorgen müssen, indem sie plündern und Beute machen, während des Dreißigjährigen Krieges überlebensnotwendig. Ihre einzige Lebensgrundlage.
So ist Springsinsfeld die lebendige Verkörperung des damaligen Sprichwortes: "Junger Soldat - alter Bettler". Er ist nicht so naiv wie der junge Simplex, durchschaut die Machenschaften, hält sich, um zu überleben, möglichst aus dem Kampfgeschehen heraus, beobachtet stattdessen, geht in Deckung, muss sich in einer Gefahrensituation "denjenigen gleichstellen / die ich zu berauben im Sinn hatte". Also sich tot stellen. Wie es ihm auch gleichgültig ist, wer gewinnt oder verliert. "Wann ich nur mein Theil auch davon kriegte."
Regenten, Konfessionen, Staaten sind ausgeblendet. Springsinsfelds Schilderungen spiegeln die Sicht des kleinen Mannes "von unten", exemplarisch für die meisten Söldner. Die Weltordnung ist aus den Fugen: Die neuen Feuerwaffen der Söldner sind der traditionellen Kampfweise der Aristokratie überlegen. Auch althergebrachte Tugenden wie Tapferkeit verlieren ihre Gültigkeit. Stattdessen Beutemachen.
Wenn das Schlachtfeld von den kämpfenden Truppen verlassen ist, wird Springsinsfeld zum Leichenfledderer. Ein schwer verwundeter schwedischer Offizier bittet ihn um Hilfe: "Ach Bruder / sagte er / hilff mir! Ja; gedachte ich / ietzt bin ich dein Bruder / aber vor einer Viertel Stund hettest du mich nicht gewürdigt / nur ein eintziges Wort mir zuzusprechen / du hettest mich dann etwan einen hund genannt." Springsinsfeld tötet ihn, raubt die Leiche völlig aus.
In der Überschrift des Kapitels deutet das Grimmelshausen bereits ironisch an: Die "zaichen der erhaltenen Victori" bestehen nur noch darin "todt zuschlagen / gefangen zunemmen und Beuthen zu machen". Vom Menschen bleibt nur der "Bärenhäuter" übrig, der durch den Krieg verwilderte Mensch, wie der "vast arme Schelm", wenn jegliche Ordnung zusammenbricht. Und natürlich die Toten! Ein Grundgedanke bei Grimmelshausen. Wie auch, dass gerade die Mächtigen im Kampf um die Macht die Ordnung zerstören. Eine zeitlose Erfahrung, wieder höchst aktuell.
Am 5. und 6. September 1634 findet die Schlacht bei Nördlingen statt zwischen dem etwa 25000 Mann starken schwedisch-evangelischen und dem etwa 33 000 Mann starken kaiserlich-katholischen Heer wegen des Zugangs sowohl ins protestantische Württemberg wie ins protestantische Franken. Die Schlacht endet mit der völligen Niederlage der Schweden. Man schätzt etwa 12 000 Tote und Gefangene. Unter diesen vermutet man rund 2000 Mann der Württembergischen Landesdefension.
Die siegreichen Soldaten setzten den fliehenden Schweden erbarmungslos nach. Die Reichsstadt Nördlingen übergibt dem siegreichen Ferdinand III. die Stadtschlüssel, zahlt ein Strafgeld in Höhe von 50 000 Reichstalern. So bleibt der Stadt ein "Sturm mit anschließender Plünderung" erspart. Die Stadtrechte und Stadtfreiheiten werden nicht angetastet. Betroffen sind auch benachbarte Städte wie Bopfingen, Neresheim und Aalen.
Der Krieg ist noch lange nicht beendet. Das katholische Frankreich erklärt nun dem Kaiser den Krieg trotz des Friedens von Prag im Jahre 1635. Der Krieg tritt nun in eine Phase, die als die für die Menschen schlimmste des Dreißigjährigen Krieges gilt: marodierende Soldaten, Plünderungen, Hungersnot und Seuchen.
Nördlingen verliert zwischen 1600 und 1652 die Hälfte der Bevölkerung: Von einst 8790 Einwohnern leben nur noch 4345 Personen. Erst 1939 wird wieder die Zahl von circa 8900 Einwohnern erreicht.
INFO
Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen
Der seltzame Springinsfeld
Verlag Hofenberg oder Eichborn-Verlag