Auf 150 Seiten tauschen sich Muhterem Aras und Hermann Bausinger in ihrem Gesprächsbuch „Heimat. Kann die weg?“ aus über die Bedeutung von Heimat in einer zunehmend pluralen Gesellschaft. Objektive und subjektive Perspektiven ergänzen einander gewollt.
Unterschiedlicher könnten die Biographien nicht sein: Der erimitierte Kulturwissenschaftler Professor Hermann Bausinger, 1926 in Aalen geboren, ein Urschwabe, „Theoretiker in Sachen Heimat“. Und die baden-württembergische Landtagspräsidentin Muhterem Aras, schwäbische Politikerin, geboren in der Türkei als alevitische Kurdin. Seit 2016 die erste Frau in diesem hohen Amt. Moderiert wird der Dialog von Reinhold Weber, Honorarprofessor für Zeitgeschichte in Tübingen.
Muhterem Aras’ Eltern gingen nicht nach Deutschland nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern weil sie für ihre Kinder eine bessere Zukunft wollten und der Mutter, einer Analphabetin, der man Bildung als Mädchen verweigert hat, die patriarchalischen Strukturen ihrer Heimat missfielen. Folglich waren die Eltern offen für die Chancen, welche eine moderne Gesellschaft bietet. Genauso wie die Familie freundlich aufgenommen worden ist, betont Aras.
Heimat lasse sich nicht verbindlich definieren, der Begriff sei zu vielschichtig, erklärt Hermann Bausinger, um sich zunächst aus historischer Perspektive diesem anzunähern, einen großen Bogen zu schlagen vom Mittelalter über das 19. Jahrhundert bis hin zur Gegenwart. Deutlich wird so, dass sich in dem Wort immer historische und soziale Entwicklungen widerspiegeln. Lange vor allem rechtlich definiert, nie ohne „Gefühlsnote“, mal national aufgeladen, um nur einige Facetten zu nennen.
Für Mutherem Aras ist Stuttgart, Baden-Württemberg, Deutschland die Heimat. Bewusst habe sie sich ausschließlich für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden. Verfassungspatriotin sei sie ohne Wenn und Aber. „Nicht mehr die Abstammung oder die Herkunft machen den vollwertigen Staatsbürger aus, sondern der Glaube an unsere Grundwerte und die Bereitschaft, sich dafür einzusetzen.“ Leitkultur ist für die Politikerin der Wertekatalog des Grundgesetzes. Keine Religion, stellt sie klar, dürfe über dem Grundgesetz stehen. Die Werte und Normen
unserer Verfassung bilden das Fundament des Zusammenlebens, welches von Toleranz und gegenseitigem Respekt geprägt sein müsse. Konkret wird Aras, wenn sie zum Beispiel die Einführung eines modernen Islamunterrichts mit in Deutschland ausgebildeten Lehrkräften fordert. Kein einfaches Unterfangen.
Integration sei allerdings kein Schalter, den man einfach umlegen könne, sondern ein Prozess, der Geduld brauche. Pauschale Patentlösungen gebe es nicht, betont Aras, um für mehr Gelassenheit zu plädieren. Dass sie selbst
inzwischen auf Deutsch träume (anfangs auf Türkisch), beweise, dass sie angekommen sei.
Heimat könne nicht weg, stellen die Gesprächspartner am Ende fest. „Verstehen und verstanden werden – das ist Heimat“, zitiert Mutherem Aras abschließend den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Und zwar im privaten wie im öffentlichen Bereich, will sie die Aussage verstanden wissen.
„Heimat. Kann die weg?“ ist in diesen aufgeheizten Zeiten ein wohltuend unaufgeregtes Buch, welches wertvolle Denkanstöße liefern kann und dem man eine breite Resonanz wünscht.
INFO
Muhterem Aras/Hermann Bausinger: Heimat. Kann die weg?
Ein Gespräch, eingeleitet und moderiert von Reinhold Weber
klöpfer & narr, 156 Seiten