Am 10. Oktober 1791 stirbt Christian Daniel Schubart in Stuttgart. Schon zu Lebzeiten ist der schwäbische Publizist eine legendäre Gestalt. In ihrem neuen biographisch-historischen Roman „Die Schubartin“ widmen Felix Huby und Hartwin Gromes sich jedoch nicht dem Dichter, Komponisten, Journalisten und evangelischen Prediger, sondern im Mittelpunkt steht dessen Ehefrau Helene Schubart.
Die Handlung beginnt mit dem Sterbetag Christian Daniel Schubarts, für Helene ein schwerer Tag. 45 Jahre ist sie alt, völlig verbraucht. „So viel Leid hatte ihr dieser Mann zugefügt, und trotzdem empfand sie eine tiefe Trauer darüber, dass er sie nun verlassen hatte.“ Völlig mittellos bleibt Helene Schubart zurück, muss die schöne Wohnung aufgeben, in welcher das Ehepaar lebt, nachdem der körperlich und seelisch zermürbte Mann von demselben Despoten, der ihn zehn Jahre lang auf dem Hohenasperg schmachten ließ, zum Hofdichter und Theaterdirektor in Stuttgart ernannt worden ist. 28 Jahre überlebt Helene ihren Mann, vereinsamt und in bedauernswerten Verhältnissen.
Beim Ordnen der Papiere des Verstorbenen liest sie Schriftstücke, gerät ins Nachdenken, blickt zurück auf die Stationen einer Ehe. Chronologisch erzählt, basierend auf historischen Quellen entfaltet sich die Geschichte. In Geislingen lernt die brave Helene, Tochter des Oberzollers Bühler, ihren Mann kennen, der dort als Hilfslehrer nahezu sechs Jahre, von 1763 bis 1769, tätig ist. Ein Weib geraden und einfältigen Herzens, zur Demut und Niedrigkeit gewöhnt sei sie gewesen, charakterisiert Christian Daniel Schubart viele Jahre später seine Frau.
Schubart fühlt sich durch die Ehe, die ärmlichen Verhältnisse rasch eingeengt, nimmt sein altes „Lotterleben“ wieder auf. Weshalb der Schwiegervater an dessen Vorgesetzten in Ulm schreibt: „Manniglich bekannt und erweisliche Sachen seien es, daß er sein Weib (…) etliche Tage vor ihrer Niederkunft also traktieret, daß sie blaue Augen in die Kindbett gebracht und daß er zwei Tage vor dieser Niederkunft (auf Veranlassung seines Bruders) auf Kuchen gefahren, dann durch die Ortschaften gejohlet und nachher das Weib nebst ihrer Schwester zum Haus hinaus gejaget, letzterer auch Beulen beigebracht und sie blutrünstig geschlagen."
September 1769 verlässt Schubart schließlich Geislingen, um eine Stelle am württembergischen Hof in Ludwigsburg als Organist und Musikdirektor anzutreten. Die Residenzstadt, ganz nach dem Vorbild Versailles gebaut, ist einer der prächtigsten Höfe Europas. Helene folgt ihm mit den beiden Kindern gegen den Rat ihres Vaters. Schubart, der dem Alkohol, den Frauen und Vergnügungen mehr als zugetan ist, genießt die Libertinage des höfischen Lebens. Mit den Damen der Gesellschaft, denen er Klavierunterricht erteilt, verbindet ihn mehr als die Liebe zur Musik. Eine der Schülerinnen Schubarts ist Franziska von Leutrum, die Mätresse des Herzogs, spätere Franziska von Hohenheim, der er, so im Roman, zu nahe tritt.
Helene leidet unter den Eskapaden ihres Mannes, flieht wiederholt zu den Eltern. Warum sie immer wieder zurückkehrt? „Wo soll ich denn sonst bleiben?“, fragt sie ihren Vater. Im Grunde, eine rhetorische Frage, denn als geschiedene Frau mit Kindern, die nicht Erbin eines größeren Vermögens ist, erwartet sie ein trostloses Schicksal. Schubart, der "Brauskopf und gewaltige Trinker, Spassvogel und geniale Unterhalter", überschätzt sich indes.
Spottverse auf hohe Geistliche und Adlige machen in Ludwigsburg die Runde. Mit Carl Eugen, an dessen Hof Schubart anfangs gern gesehen ist, verbindet ihn so manches. Beide sind Schürzenjäger. Schubart beginnt mit der häuslichen Dienstmagd Barbara Streicher, die wie er aus Aalen stammt, ein Verhältnis. Der Herzog ist verheiratet mit der Prinzessin Elisabeth Friederike Sophie von Brandenburg-Bayreuth, Nichte Friedrichs des Großen, bekannt für ihre Bildung und Schönheit. Die zunächst glückliche Ehe scheitert. Aber den Unterschied zwischen Schubart und Carl Eugen bringt die lateinische Sentenz „Quod licet Iovi, non licet bovi“ („Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt“) auf den Punkt. Der Lebemann Schubart fällt 1773 in Ungnade, verliert seinen Posten, wird ausgewiesen. Ohne Frau und Kinder verlässt er fluchtartig die Stadt, führt ein „Vagantenleben“, taucht nach zwei Jahren wieder bei der Familie auf. Wegen seines sozialkritischen Wochenblatts „Deutsche Chronik“ muss er Augsburg verlassen, lässt er sich in der Freien Reichsstadt Ulm nieder, hat so viel Erfolg, dass die wieder vereinte Familie davon leben kann.
Geschrieben wird in Kneipen. Nahezu 20.000 Leser, darunter 17 Fürsten, auch seinen Widersacher Carl Eugen, erreicht er mit seiner „Chronik“, welche die absolutistische Willkürherrschaft anprangert. Schubart klagt den württembergischen Herzog an, Landeskinder als Söldner zu verkaufen, verspottet dessen Mätresse Franziska von Hohenheim, als „Lichtputze, die glimmt und stinkt“, als „Donna Schmergalina“.
Ist die historische Franziska tatsächlich die Drahtzieherin in der Sache Schubart, wie der Roman nahelegt? Zuerst in einer morganatischen Ehe lebend heiratet der Fürst, der sie anscheinend tatsächlich geliebt hat, nach dem Tod seiner legitimen Frau Franziska von Hohenheim. Höchst selten im Leben einer Mätresse, deren Position an den Höfen äußerst fragil war. Schulbildung und Armenfürsorge sind der frommen Franziska, die besänftigend auf Carl Eugen einwirkt, ein Anliegen; vom Volk wird sie verehrt als „guter Engel des Landes“. In Schillers „Kabale und Liebe“ liefert sie das Vorbild für die Lady Milford.
Die schwermütige kränkelnde Helene ist nach an all den Demütigungen durch ihren `Eheherrn´ wieder glücklich. Da wird Schubart am 23. Januar 1777 von seinem Freund, dem Amtmann Scholl, in eine Falle gelockt, verhaftet und auf der Festung Asperg ohne Anklage für mehr als zehn Jahre eingekerkert. Einen gebesserten Mann solle sie bekommen, verspricht Carl Eugen Helene, der sie mit einer Rente unterstützt und den Kindern eine Ausbildung ermöglicht. Helene, die von Ulm nach Stuttgart zieht, kämpft unermüdlich um die Freilassung ihres Mannes. Ob es Liebe war, wie der Schluss des Romans nahelegt? Sicher gab es auch andere Motive. Helene gefällt sich in der Rolle der Ehefrau des berühmten Mannes, ohne ihn wäre sie ein Nichts. Stigmatisiert zudem als Geschiedene. Wie stolz sie es trotz allem mache, dass Schubart ihr Mann sei, schreibt sie an ihren Schwager Böckh, da viele „edle und erhabene Personen“ ihn bewunderten. „Diese Teilnehmung so vieler edlen Herzen ist denn doch auch etwas wert."
Was ist nicht schon alles über den „großen“ Christian Daniel Schubart geschrieben worden, während über seine Frau wenig bekannt ist. Deren Leben zeichnen nun Felix Huby und Hartwin Gromes mit ihrem Roman „Die Schubartin“ farbig und mit großem Einfühlungsvermögen nach. Gleichzeitig öffnet das Buch einen aufschlussreichen privaten Blick auf einen zwiespältigen egozentrischen Aufklärer.
Felix Huby, Hartwin Gromes
Die Schubartin
Roman einer mutigen Frau
234 Seiten
Verlag Klöpfer,Narr