In ihrem neuen Roman „Als der Himmel fiel“ erzählt Julie von Kessel die Geschichte der Cousinen Ophelia und Franka. Mit den Eltern in Berlin lebend verbringen sie jedoch sehr viel Zeit in der großmütterlichen Villa am Rhein, sind enge Freundinnen, die sich geschworen haben: „Wir wollen uns nie verlassen.“ Erinnerungen führen zurück in diese Zeit.
Innerlich wie äußerlich sind die Beiden grundverschieden. Die zarte hellblonde Ophelia ist die Musikalische, Sensible, Vernünftige, während die drei Jahre ältere dunkelhaarige Franka als die unzuverlässige Chaotin gilt.
Nach der Schule studiert Ophelia an der renommierten Yale Universität Violine, begegnet dort dem in Berlin geborenen Ausnahmemusiker und Ausnahmemenschen Harry Rosen, der als Einziger seiner Familie Auschwitz überlebt hat und der zu ihrem Mentor wird. „Genieße das Leben!“, rät er Ophelia. Franka hingegen will nichts gelingen. Sie bricht ihr Studium ab, ein Praktikum folgt auf das andere, dazu misslungene Affären, reist ihrer Cousine in die Vereinigten Staaten nach, um einen Job in einer New Yorker Galerie anzunehmen. Nur vordergründig ist die Freundschaft der jungen Frauen harmonisch. Noch als Erwachsene fühlt sich Ophelia für ihre Cousine verantwortlich, hat die Großmutter ihr doch einst aufgetragen, sich um diese zu kümmern. „In Frankas Leben hat es nie eine Zeit ohne Ophelia gegeben.“ Eine Rolle, welche die überangepasste Ophelia unausgesprochen belastet. Fürsorge erlebt Franka durch ihre Mutter Marianne kaum. Jahrelang wird sie als Teenager sexuell vom Stiefvater bedrängt. Marianne, eine erfolgreiche Ärztin, dennoch voller Minderwertigkeitsgefühle, verehrt ihren narzisstischen Mann wie einen Halbgott, verschließt die Augen.
Während Ophelia durch einen schweren Unfall aus der Bahn geworfen wird, sich auch als Geigerin neu orientieren muss, erleidet Franka einen Schock durch die Ereignisse vom 11. September 2001. Islamistische Terroristen haben das World Trade Center in Schutt und Asche gelegt, das Pentagon in Washington attackiert. Tausende Menschen kommen ums Leben. Und Franka mittendrin. Bewegende Bilder gelingen der Autorin, die – nebenbei gesagt - als Journalistin damals live für das ZDF über die Terroranschläge berichtet hat.
Die Gefühle explodieren, als Ophelia erfährt, dass - während sie im Koma lag - Franka sie betrogen hat. „Ihr Leben lang hatte sie in Bezug auf sie keine negativen Gefühle zu gelassen. Doch jetzt war dieses Meer an Wut nicht mehr zu bändigen. Franka war egozentrisch und bedürftig. Ophelia hasste sie dafür.“ Zwischen den Beiden kommt es zu einer schmerzlichen Konfrontation. Was sich in Ophelia über Jahre angestaut hat, bricht in einem Orkan aus Wut aus ihr heraus. Und Franka schlägt zurück.
Die Sprache des Romans ist klar, der Erzählton einfühlsam und pointiert, die Handlung schlüssig entwickelt. Ein geschickter Kunstgriff: Die Autorin Julie von Kessel baut symbolkräftige Zitate aus dem „Struwwelpeter“, der „Gänsemagd“, aus „Schneeweißchen und Rosenrot“ in die Handlung ein, spiegelt so die Empfindungen ihrer Protagonistinnen auf einer bildlichen Ebene.
Deren Leben wird gehörig durcheinander gewirbelt. Nichts bleibt, wie es gewesen ist. Beziehungen zerbrechen oder werden neu ausbalanciert. Auch Marianne, die nach New York kommt, um Franka beizustehen, ist gezwungen sich der Wahrheit zu stellen. Zugleich ist der Roman auch die Geschichte einer Selbstfindung: Ophelia und Franka müssen lernen, sich dem Leben zu öffnen, sich abzugrenzen - voneinander wie von der Familie - um die eigenen Wünsche zu erkennen.
Julie von Kessel
Als der Himmel fiel
Roman